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Das gleiche Dilemma
Dieser Text wurde von Igor Dobričić (Dramaturgie) am Ende einer Probenwoche für das Gruppenstück ENSEMBLE (Premiere: 18. Januar 2023) verfasst und im Rahmen des teaminternen Newsletters veröffentlicht (Oktober 2022):


Wir kommen immer wieder in das gleiche Dilemma. Die Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit reibt sich an der Suche nach Abgrenzung, Differenzierung, persönlicher Freiheit, dem Ausbruch aus einer Gruppe. Und obwohl diese beiden Kräfte scheinbar unvereinbar sind, ist es klar, dass sie nicht ohne einander existieren können. Wenn wir uns also auf das Gleiche konzentrieren – die perfekte Übereinstimmung von Absicht und Bewegung in verschiedenen Körpern –, kommen wir unweigerlich zur Entstehung von Unterschieden. Und wenn wir ein persönliches Abdriften von der Einheit zulassen, macht diese Abweichung nur in dem Maße Sinn, in dem sie sich auf eine Gleichheit bezieht, von der sie abweicht (indem sie ihr widersteht oder sich auf sie zubewegt). 

Die Wiederholung setzt voraus, dass etwas im Voraus beschlossen und vereinbart wurde (die Choreographie, der Score, die Bewegungssequenz). Die Vorstellung von Perfektion beruht auf der Idee von Übung, Anstrengung und Disziplin. Disziplin basiert auf Routine. Doch nur wenn man anerkennt, dass Perfektion nur ein Phantasma ist, das in keinem absoluten Sinne erreicht werden kann, bekommt Wiederholung eine andere Bedeutung. Paradoxerweise ist sie dazu da, uns zu unterscheiden, anstatt uns anzugleichen. 

So verbrachten wir eine Woche damit, Strategien der Differenzierung zu erforschen: durch entspannte Aufmerksamkeit und die Erlaubnis, abzuweichen, sich abzuwechseln, die Richtung zu ändern; und uns auf das perverse Vergnügen der "perfekten" Wiederholung einzulassen. Wir ließen zu, dass sich die gemeinsame Bewegungssequenz zwischen den Körpern, die sie ausführten, auflöste und wandelte, und wir kultivierten eine Aufmerksamkeit füreinander, die es uns ermöglichte, eine eindeutig gemeinsame Form zu finden. Am Ende entdeckten wir das Offensichtliche: Einmal in Bewegung gesetzt, stehen Mechanismen der Einheit und der Differenzierung nicht in binärem Gegensatz zueinander. Im Gegenteil, durch den anhaltenden Akt der gegenseitigen Aufmerksamkeit/Fürsorge bringt genau das, was den Einen vom „Anderen“ unterscheidet, den Einklang mit sich. 

Wenn sich diese Weisheit, die wir in den miteinander tanzenden Körpern finden, in eine soziale und politische Realität übersetzen ließe, würde unsere Arbeit wieder einen Sinn ergeben.

Foto: (c) Wolfgang Unger
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