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Selbstinterview: DAS OFFENE STUDIO
Seit 2014 bietet Jenny Beyer in enger Zusammen­arbeit mit ihren künstlerischen Partner*innen Nina Wollny, Chris Leuenberger, Matthew Rogers (bis 2019), Jetzmann, Anne Kersting und Igor Dobričić u.a. OFFENE STUDIOS in Hamburg an und er­forscht Praktiken der paritätischen Begegnung und Bewegung zwischen Künstler*innen und Publi­kum. Sie denkt dabei vermittelnde Arbeit als ein die künstlerische Forschung nährendes Format, das auf diese Weise zur geteilten Tanzpraxis wird. Im engen Dialog mit nicht­professionellen, neugierigen Zuschauer*innen entstanden seit 2014 sechs Stü­cke (LIEBE 2015, GLAS 2016, FLUSS 2017, DÉBUT 2019, DEUX 2021, ENSEMBLE 2023).

Auch im Lockdown gingen die OFFENEN STUDIOS weiter. In der Form von Zoom­-Konferen­zen konnten trotz geschlossener Theater Momente der Nähe und des Austauschs geschaffen werden. Die durchgehende Probenarbeit zu DEUX in Dis­tanz – Nina Wollny in Norwegen, Chris Leuenberger und Jenny Beyer in Hamburg – und die Einladung ans Publikum, das Stück schon im Prozess digital zu begleiten, schuf neue, nachhaltige künstlerische Werkzeuge.
 

WARUM HABE ICH DIE OFFENEN STU­DIOS BEGONNEN?

Ich habe 2014 mit den OFFENEN STUDIOS angefangen, weil ich von der normalen Probenarbeit als reine Vor­bereitung der Aufführung nicht mehr erfüllt war. Die Momente, in denen ich wirklich Menschen begegnet bin mit meinen Stücken, sie waren mir ein­fach zu wenig, zu punktuell. Ich war an einem Punkt, an dem ich mich gefragt habe, wie meine Arbeit eigentlich kom­munizieren kann und ob sie überhaupt in Kommunikation stattfindet? Mir macht es wahnsinnig Spaß, im Studio an Material zu arbeiten, an Ästhetiken zu feilen und mit anderen tollen Men­schen zusammen künstlerische Fragen zu entwickeln und in Bewegung zu manifestieren. Das macht mir Spaß, aber es kostet auch wahnsinnig viel Zeit und es ist eine sehr in sich gekehrte Arbeit, an der wenig Menschen betei­ligt sind. Als Künstlerin habe ich mich gefragt, ob das reicht, ob das die Art ist, wie ich meine Kunst produzieren möchte. Und deshalb haben wir uns bereits 2014 vorgenommen, es anders zu probieren. Wir haben angefangen, regelmäßig Menschen zu uns ins Studio einzuladen. Wir haben uns vorgenom­men, diesen intimen und unaufgeräum­ ten Ort für Menschen zu öffnen, die Interesse haben, dem beizuwohnen, die Interesse haben, uns Fragen zu stellen und uns auch Fragen zu beantworten. Menschen, die künstlerischem Material näherkommen wollen. Und wir haben erst mal diese Einladung ausgespro­chen, ohne genau zu wissen, was und wie das Ganze passieren soll.

WAS PASSIERT IM OFFENEN STUDIO?

Die OFFENEN STUDIOS sind erst mal vor allem eine Einladung zu einem Pro­benprozess. Sie laufen von Mal zu Mal sehr unterschiedlich ab. Aber es gibt ein paar Elemente, die immer wieder vorkommen. Wir laden Menschen sehr oft dazu ein, sich mit uns zu bewegen und Übungen und Aufwärmphasen zu teilen. Dann suchen wir Möglichkeiten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen über unser choreografisches Material, das wir gerade zeigen, wenn es neu und nicht fertig ist. Oft stellen wir aber auch eine offene künstlerische Frage und entwickeln daraus eine Improvisation, die wir gemeinsam mit den Teilneh­mer*innen evaluieren. Es gibt auch Phasen, in denen wir schreiben, damit Menschen zu Wort kommen, die sich vielleicht nicht trauen, vor der ganzen Gruppe zu reden. Und dann gibt es noch OFFENEN STUDIOS, die in einem anderen Sinne offen sind, nicht geleitet von einem ganz konkreten Prozess oder angedockt an Proben, wo wir das Zu­ sammenkommen an sich untersuchen: Was braucht es, damit Menschen sich zusammengehörig fühlen?

WAS ERHOFFE ICH MIR AUS DER BEGEGNUNG MIT MENSCHEN IM OFFENEN STUDIO?

Ich erhoffe mir, dass meine sehr eige­nen choreografischen Materialien sich öffnen und in Kommunikation lebendig werden. Ich möchte etwas darüber erfahren, was die soziale Komponente dieser künstlerischen Arbeit ist und wie ein Stück sozial funktioniert. Ich will wissen, was Menschen so einem Prozess für sich selbst entnehmen, was ihnen eine künstlerische Arbeit geben kann. Was für Qualitäten und Fähigkei­ten stecken in zeitgenössischem Tanz und Choreografie? Qualitäten, die in den OFFENEN STUDIOS sichtbar und teilbar werden, die auch unserem Zu­sammenleben etwas bringen, um bes­ser und friedlicher miteinander umzu­gehen. Ich möchte Menschen treffen, die ich anders nicht getroffen hätte. Weil wir sonst an unterschiedlichen Orten wären oder keinen Anlass hätten, uns zu begegnen. Ich erhoffe mir, dass das Teilen künstlerischer Arbeit einen gesellschaftlichen positiven Input gibt und qualitätsvolle Zeit hervorbringt, in der die Begegnung mit Anderen als kol­laborativer Akt immer wieder aufs Neue geübt und praktiziert werden kann.

Ich möchte, dass das OFFENE STU­DIO ein Ort ist für den selbstkritischen und diversitätssensiblen Umgang mit Offenheit wird. Auf diesen langwierigen und lehrreichen Prozess möchte ich mich einlassen!

Ich erhoffe mir, dass ich mit den OFFENEN STUDIOS die Zeit zwi­schen den Stücken inhaltlich mit Be­gegnungen füllen kann, dass der Kom­munikationsfaden mit Menschen nicht abbricht. Denn was passiert eigentlich in den Zeiten zwischen zwei Stücken? Ich erhoffe mir, mit den OFFENEN STUDIOS grundsätzlich die Hierarchie zwischen Prozess und Produkt zu hin­terfragen und aufzulösen und dass der Prozess selber schon zum Werk wird. Ich möchte nicht mehr alles immer nur im Stück manifestieren müssen. Durch die OFFENEN STUDIOS passieren bereits viele Dinge im Prozess, Dinge, die für sich wertvoll sind, Momente,
die für sich stehen. Jedes OFFENE STUDIO ist ein Happening, ein Erlebnis für sich und steht nicht in Konkurrenz zur Aufführung. Ich habe nicht den An­spruch, dass alle Menschen jeden Be­reich meiner Arbeit gleich interessant finden müssen. Es kann gut sein, dass die OFFENEN STUDIOS Menschen an­regen, sie aber meine Stücke gar nicht so ansprechend finden.

Ich bin seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Geflüchtetenhilfe aktiv und es beschäftigt mich sehr, wie ich konkretere Verbindungen zwischen sozialem Engagement und meiner künstlerischen Arbeit herstellen kann. Die OFFENEN STUDIOS schaffen auch Raum für Themen, die fundamental wichtig sind, die sich zunächst zu groß anfühlen für das Studio. Themen wie der uns fundamental bedrohende Kli­mawandel, dem ich mehrere OFFENE STUDIOS gewidmet habe. Ich erhoffe mir über die kontinuierliche Arbeit mit Menschen und die Schaffung eines künstlerischen Prozesses, dass darüber auch derartige Themen immer wieder angegangen werden können, dass darüber nachgedacht werden kann und die Frage gestellt wird, was denn diese kleinteilige, sehr spezifische künst­lerische Arbeit mit so großen Themen zu tun hat und ob sie gesellschaftlich etwas beitragen kann.

WAS HAT DIE PANDEMIE MIT DEM PROZESS DER OFFENEN STUDIOS GEMACHT?

Ich bin sehr froh, dass wir Möglich­keiten gefunden haben, die OFFENEN STUDIOS auch in der Zeit der geschlos­senen Theater weiterführen zu können. Nach einer Zeit des Besinnens haben wir im Sommer 2020 angefangen, uns über Zoom mit Menschen zu treffen. In diesen OFFENEN STUDIOS haben wir zunächst sehr konkret und simpel versucht, das Medium der Videokon­ferenz kennenzulernen und daraufhin zu testen, wie es funktioniert, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Wir haben mit Interessierten eine Art Be­gegnungstraining probiert. In diesem Training konnte jede*r Teilnehmer*in im Pingpongprinzip für das Zusam­menkommen körperliche, tänzerische Vorschläge machen. Wir probierten, über Bewegung ins Spiel mit diesem Medium zu kommen. Das hat Spaß ge­macht und wir haben gleich gemerkt, dass da schöne Momente von Nähe entstehen können und dass von Seiten der Teilnehmenden Lust bestand weiter zu machen. Gleichzeitig haben wir angefangen an einem neuen Stück zu arbeiten, in dem wir die Videokonferenz als Probentool verwendeten. Schon am Anfang des Probenprozesses stellte sich nämlich heraus, dass Nina Wollny wegen der Pandemie nicht aus Norwe­gen nach Hamburg reisen konnte. Sie blieb dann den ganzen Probenprozess und die Aufführungen über in Trond­heim und wir probten konsequent in Distanz mit Hilfe von Zoom und Vi­deoprojektion. Das war für mich eine künstlerisch komplett neue Situation. Und dann ist etwas passiert, was ich wunderschön finde: Wir haben an­gefangen, diese Arbeit in Distanz über Zoom mit weiteren Menschen in OFFE­NEN STUDIOS zu teilen und aus diesen digitalen OFFENEN STUDIOS entstand letztendlich das Format des Stücks. Wir hatten im April die Premiere und das Stück war eine Vorstellung, die gleich­zeitig in Hamburg ohne Live­-Publikum, in Norwegen mit einem sehr kleinen Publikum und weltweit mit über Zoom live dazugeschalteten Menschen stattfand. Aus dieser Arbeit in Distanz – Nina in Norwegen, Chris und ich in Hamburg ­– und der Einladung ans Pub­likum, uns schon im Prozess digital zu begleiten, haben wir behutsam künst­lerische Werkzeuge entwickelt, die ich nachhaltig interessant finde.

WELCHES FAZIT ZIEHE ICH AUS DER KRISE IM HINBLICK AUF DEN TANZ?

Der Schutz vor der Covidinfektion verlangt räumlichen Abstand, aber Abstand gab es zwischen Tanz und Pu­blikum auch schon vorher: z.B. Unver­ständnis, Missverständnisse, Berüh­rungsängste, Erwartungsdruck. Jetzt in dieser Zeit, in der wir nicht einfach in einem Raum gemeinsam sein können, bietet sich die Chance, dieses oft schwierige Verhältnis zu reflektieren. Diese Zeit des Sich­-Vermissens bietet die Chance, sich aufeinander zu freuen. Sie bietet die Chance sich grund­sätzlich zu fragen, wie wir in Zukunft miteinander Zeit verbringen wollen, was wir voneinander brauchen, was wir einander geben und was wir voneinan­der mitnehmen wollen.

Für mich ist die Arbeit in der Pandemie eine wichtige Erfahrung, ein Weckruf dazu, wie Kunst auf kon­krete gesellschaftliche, ökologische Krisen reagieren und in ihnen agieren kann. Natürlich macht so eine globale Krise im ersten Moment sprachlos und lähmt, im zweiten Moment verlangt sie aber von einem eine Haltung ab, ein Sich­-Positionieren zu gesellschaftlichen Pflichten, ein Praktizieren von Solidari­tät und gesellschaftlicher Verantwor­tung. Es ist schön zu beobachten, wie aus dieser kleinteiligen Arbeit, in dieser für alle neuen Situation, wertvolle zwischenmenschliche Momente und künstlerische Materialien entstehen können.

WAS ZEICHNET MEIN TEAM AUS?

Was das Team betrifft beobachte ich, dass mir langfristige Zusammen­arbeiten sehr wichtig sind. Ich möchte kontinuierlich mit Menschen Zeit zu verbringen und im Austausch bleiben. Daraus entstehen lange künstlerische Partnerschaften. Mit der Tänzerin Nina Wollny, mit dem Tänzer und Choreo­ graphen Chris Leuenberger, mit meinen Dramaturg*innen Anne Kersting und Igor Dobričić und mit dem Komponisten Jetzmann arbeite ich schon seit sehr vielen Jahren zusammen. Das zeigt sich meiner Meinung nach auch in der Qualität der Arbeit. Wir können auf ganz viele gemeinsame Erfahrungen zurückgreifen, die sich dann in den Stücken zeigen und die sich auch in der Atmosphäre im Studio zeigt. Mir ist es super wichtig, im Studio eine entspannte und rücksichtsvolle Atmo­sphäre zu kreieren. Freundschaft ist für mich ein bereicherndes Element einer Zusam­menarbeit. Interessant ist es, wie wir uns mit dieser Vertrautheit als Basis in den OFFENEN STUDIOS immer wieder gegenüber neuen und uns unbekannten Menschen öffnen. Das zu praktizieren und individuelle Herangehensweisen zu entwickeln, macht den Prozess der letzten Jahre aus.

Zum jetzigen Zeitpunkt unserer Entwicklung ist es nun aber wichtig das Team noch mal ganz gezielt zu vergrö­ßern. Dies soll vor allem im Bereich der Tänzer*innen geschehen. Ich möch­te da neue Menschen kennenlernen, auch gezielt mehr in Hamburg lebende Performer*innen ins Team holen. Und ein weiterer wichtiger Bereich ist der der Diversität. Da möchten wir Lern­prozesse anstoßen und verstetigen und suchen nach Expert*innen, die diese Prozesse nachhaltig begleiten und Teil des Teams werden. •

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